Schildkröte
3/4. April 2004 in Berlin

Schildkröte - Caretta caretta

C 3 Fortsetzung

V9
Zuerst habe ich links herum gerieben.
Der Schildkröte habe ich einige Fragen gestellt, z.b. wie sie sich in dem Panzer fühlt, wie es ist, das ganze Leben in dem Panzer zu sein. Ich habe versucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen, wie ich es sonst bei den anderen Verreibungen gemacht habe, da ging es mir aber wie V3, daß ich keine richtigen Antworten bekommen habe.
Ich weiß nicht, ob sie so langsam ist oder ob sie keine Lust hat, auf diese Gesprächsebene zu gehen. Ich hatte vorher ja schon gesagt, daß sich ihre Weisheit nicht in großen Worten äußert, es war darum schwierig mit den Fragen. Ich muß es mir wohl selber angucken in so einem Panzer.
Dann habe ich in die andere Richtung verrieben und bin sofort zur Schildkröte geworden und im Meer geschwommen, aber in das Gefühl des Panzers bin ich nicht gekommen, denn alles war so langsam.
Die Schildkröten haben eine andere Zeitwahrnehmung, als wir Menschen und darum ist es schwierig, mit ihr in Kontakt zu kommen, daß war mein Gefühl dazu.
Stichworte zu meiner Wahrnehmung der Schildkröte:
tiefer Brummton als Grundton, unendliche Langsamkeit, wie in Zeitlupe.
Das Gefühl zu ihr ist sehr tief, aber nicht unbedingt schwer
Allwissend und Unendlichkeit
Ruhig und schlicht
Allein oder einsam, aber auch verschmitzt
Weisheit nicht durch Worte, sondern man muß die Antwort selber finden, aber sie ist mit ihrer Weisheit anwesend. Sie geht aber nicht in die Tat, die muß ich selber gehen.
Mag keine Einengung, vor allem nicht am Bauch
Auf meine Frage, wie ich mich abgrenzen kann, ohne einen Panzer zu brauchen hat sie mir gesagt: Du mußt dich verletzlich machen. Das habe ich nicht verstanden. Das war oft so, wenn ich etwas fragen konnte und eine Antwort bekam, so habe ich die Antwort nicht verstanden.
Modalitäten: Besser durch viel trinken und viel pinkeln (wenn es fließt)
Traum heute nacht: Ich komme zu spät, jemanden abzuholen, weil ich es vergessen habe.
Das Schildkrötenlied ist mir auf dem Heimweg nicht mehr eingefallen, aber im Traum war es wieder da.
In der 3. Runde hat sie mir dann das Thema Panzer, Abgrenzung, Verletzlichkeit erklärt.
Wenn ich keinen Panzer benutzen möchte, muß ich mich verletzlich machen, denn wenn ich eine Verletzung erfahre, kann ich daraus eine Erfahrung ziehen und diese wird mich lehren, wann und wie ich mich das nächste Mal davor schützen kann und das tue ich, indem ich mich abgrenze und zwar rechtzeitig. Wenn ich aber einen Panzer benutzen würde, dann würden alle Verletzungen, die ja wie ein Pfeil auf mich geschossen werden, an mir abprallen und ich würde den Vorgang nicht lernen, mich abzugrenzen und auch nicht lernen zu differenzieren zwischen denen, die wichtig sind und denen, die überflüssig sind, weil ich die Lektion schon verstanden habe.
Ich bin nur so lange in einem Bereich verletzlich, wie ich das aus der Verletzung genommen habe, was mich weiterbringt und bis ich gelernt habe, mich abzugrenzen in diesem Bereich. Das es ewig so weitergeht und ich an immer tiefere Wunden meiner Seele damit gelangen werde.
Ich hatte immer eine Unruhe in meiner Position beim Verreiben. Habe in den Pausen das Verlangen, mich auf den Bauch zu legen, was ich sonst nie mache.
Die Schildkröte spricht nicht mit vielen großen Worten, das nimmt mir bei dieser Verreibung großen Druck. Es müssen nicht ganz tolle, weise Sachen dabei raus kommen. Wenn ich keinen Druck habe, fließt trotzdem sehr viel, aber auf einer viel langsameren Art, auf einer anderen Art, auf einer anderen Ebene.

V8
Ich war voller Energie, richtig besessen auf das Reiben. Es hat mich befreit, ich habe mich wohler gefühlt. Ich war von hellem Licht umgeben, welches mir Kraft gegeben hat. Dann habe ich die Zeit verloren, gerieben und gerieben, es ging ewig.
Ich habe die Schildkröten gefragt, ob sie überhaupt noch da sind, daraufhin kam ein Bild, wo sie alle dasaßen und gelacht haben, so ha-ha-ha-ha. Dann habe ich mitgelacht, bis die Runde zuende war.
Bei der 2. Runde bin ich hinter einer Schildkröte her geschwommen, sie wollte mir etwas zeigen, ich habe sie aber verloren. Dann sah ich uns alle hier im Raum sitzen und um uns herumdrehte sich auf einmal alles, es war wieder diese Bewegung, wie ein Strudel um uns herum, die uns aber nicht beeindruckt hat, mir wurde auch nicht übel, wie gestern. Wir waren im Zentrum, nicht außen, sondern in der Mitte.
Der Strudel ist um die ganze Erde so, unsere Erde ist im Zentrum, aber um uns herum sich alles dreht.
Dann kam die Aussage: Wir sollen uns bewegen, ich habe mich dann aufgerichtet, die Schale im Schoß gehabt, habe meine Hand hochgenommen und bin ganz langsam wieder herunter auf die Matte. Ich hatte die Augen geschlossen. Ich habe auf einmal gespürt, daß hier so ein Muster ist und habe gemerkt, daß ich auf dem Panzer einer Schildkröte bin.
Ich habe sie auch gesehen, sie abgetastet, hatte die Hand an einer Stelle und dabei kamen ganz verrückte Bilder. Krieg, weinende Kinder und Frauen, sehr traurig. Dann habe ich meine Hand an eine andere Stelle weiterbewegt, da habe ich die Geburt eines Babys gesehen und einen Strand.
Dann bin ich nochmal weiter und habe vier kleine Schildkröten in den Bauch dieser Schildkröte gesehen. Daraufhin ging es mir emotional wieder total gut.
In der 3. Runde habe ich mich hingestellt und auf der Stelle langsam rechts herum gedreht, um mich herum drehte sich auch alles, aber in die andere Richtung. Das war sehr unangenehm, ich konnte nichts erkennen. Dann habe ich mich andersherum gedreht, aber wieder hat sich außen herum alles in der gegenteiligen Richtung gedreht, es war immer entgegengesetzt. Ich habe mich nicht wohl gefühlt. Ich hörte dann, daß ich mich mit drehen solle, in die gleiche Richtung. Das hat dann auch geklappt und ich konnte Dinge erkennen: Wälder, Tiere, Menschen, ich konnte mich der Geschwindigkeit anpassen.
Die Schildkröte sagte: Ihr müßt euch mit uns mitdrehen, ihr müßt euch mit der ganzen Sache mitdrehen, nicht entgegengesetzt und ihr werdet Natur, Tiere und Menschen sehen und verstehen.
Laßt die Dinge, die nicht zu euch gehören, die ihr über die Jahre angenommen habt los! Kommt wieder zu euch selbst, findet wieder und ihr werdet euch nicht mehr entgegengesetzt drehen, sondern mit euch und mit allem mitdrehen in die gleiche Richtung! Dann werdet ihr sehen und verstehen. Laßt los!
Insgesamt war ich heute nicht müde, so wie gestern, ich bin total fit.

V7
Ich bin heute morgen schon um 4.00 Uhr aufgewacht, daß ist nichts Ungewöhnliches, ich bin aber sehr schwermütig wach geworden, sehr traurig. Ich hatte drei kurze Träume in der Nacht, in denen es um Ablehnung, Nicht-gesehen-werden ging, u. ä. meine Mutter, die unglücklich darüber ist, daß ihre Mutter sie beim Sterben nicht dabei haben will, weil sie zu gefühlsbetont ist.
Die Musik der korsischen Sänger und Sängerinnen (Ich spielte zu Beginn der Begegnung einige Lieder der "Polyphonies Corses" S. S.) hat mich total getroffen, als ich hier ankam (weint), ich hatte wieder dieses Bild der einsamen Schildkröte, die allein in dem riesigen Ozean ist auf der Suche nach einem verwandten Wesen. Die Tränen kamen, in dem Moment, als ich dachte, was für ein Glück, ein verwandtes Wesen treffen zu können, wenn das in diesem Ozean gelingt! Und für mich selber ein Gefühl, diese Chance vertan zu haben im Leben (weint).
Als das Reiben begann, mußte ich mich hinlegen.
Mein Rücken tat weh, als würde ich auf einem Stock liegen, sehr unangenehm
Die Stelle am Jochbein tat auch wieder so weh.
Meine erste Frage war: Wie findet man im Unendlichen denselben Partner? Die Schildkröte sagte: Mit Leichtigkeit! Und in dem Moment begann meine Hand, die rieb, sich total zu verkrampfen und ich überlegte, ob ich weiter reiben soll, glaube und vertraue?
Sie sagte nochmal: Mit Leichtigkeit, deshalb wählen wir das Meer. Das Strömen bringt uns zusammen, nicht das Tun! Die anderen sind auch auf der Suche nach dem richtigen Strom.
Die nächste Frage, die sie mir stellte: Warum fragst du immer nach dem andern, nach dem Seelenpartner, was ist so schlimm am einsam sein? Du hast doch das ganze Meer.
Ich sagte: Einsam sein heißt für mich, unglücklich sein. Die Schildkröte sagte: Das glaubst du nur.
Ich bin extrem wasserscheu, bin auch verwundert, wieso ich die Wasserschildkröte ausgesucht habe. Sie sagte: Es ist eine traurige Illusion, auf festem Land leben zu wollen und zu können.
Da bekam ich Spannungen an den Haarwurzeln, mußte die Spange öffnen, weil alles weh tat.
Ich fragte: Was daran ist denn die Illusion? Sie antwortete: Das Gefühl der Sicherheit, der Hoffnung, man könne den unangenehmen Gefühlen ausweichen, aber an Land bist du noch einsamer. Im Meer der Gefühle bist du im Strömen.
Das wollte ich alles gar nicht hören! Und habe dann so ausweichend gefragt: Kann ich denn noch etwas für dich tun? Achtung oder Respekt oder so? Sie hat dann gesagt: Wir achten uns selbst! Das war so, als hätte mir einer in den Magen gehauen.
Dann wurde mir klar, daß mein Problem nicht die Einsamkeit ist, sondern die Selbstachtung. Das Gefühl, des Nicht-Selbst-Achtens habe ich sehr deutlich bei mir gespürt und daraus resultierend das Abhängig sein von der Aufmerksamkeit, der Achtung  der anderen, dieses Nicht-Gesehen-Werden, im falschen Raum zu sein, anders zu sein, es nicht richtig zu machen, das war so präsent.
Ich habe gemerkt, wie meine rechte Hand weh tut, wie das Jochbein weh tut, wie mein Oberkiefer weh tut, vom Zähne zusammen beißen.
Gefühl, als ob meine rechte Körperhälfte viel größer sei, als die linke. Gestern war es noch ein zartes Gefühl, heute ist es ganz deutlich. Nicht mit Schmerz verbunden, einfach voluminöser.
Grundsätzlich habe ich bemerkt, daß ich in etwas hineinkomme, was weh tut und es sind unheimlich Viel Alltagsgedanken sofort wieder dazwischen.
Ich habe mich leicht und gerne ablenken lassen.
Und nach diesen Antworten spürte ich auch Wut, ich habe mich verraten gefühlt von den Schildkröten. Ich habe an die Aufstellung am Freitag gedacht. Wieso stellen sie sich hinter die andere? Ich bitte sie um Hilfe, ich sitze hier und reibe wie eine Blöde. Wieso stellen sie sich nicht hinter mich? Bin ich wirklich so stark? Ich bin sehr nachtragend, das habe ich noch bemerkt.

V1
ÑElastische Härteì. Wie schon gesagt wurde: Es ist nicht klein zu kriegen.
Dann kam: "Imperien der Schuld", "Imperien der Bestrafung" (ich wußte noch nicht genau, um was es ging). Ich staune immer, daß es Menschen gibt, die so ein großes Faible haben für Schuld: Du bist Schuld oder der ist Schuld. Ganze Therapien, die sich darin erschöpfen, die Schuld zuzuteilen. Ich treffe ständig Leute, die genau wissen, wer Schuld ist an ihrem Leben.
Daneben die lange Geschichte der Bestrafung....
Dann kam mir wieder der amputierte Mann in den Sinn und daß jemand erzählt hat, daß man den Schildkröten bei lebendigem Leib die Arme und Beine abschneidet. Ich habe auch das Gefühl, daß sie das nicht spüren. Es ist nicht das humanistische Bild, was wir davon haben, es ist nicht daß, was wir spüren. Sie empfimden anders. Das Bein, der Arm ist weg.
Gestern in der C2 war noch das Verwirrt-sein darüber, aber heute in der C3 kümmert es mich. Ich habe ein Bewußtsein darüber, über den Verlust und trotzdem kann ich damit weiterleben. Was braucht es, um vergessen zu können? Was braucht es, um diese Verletzung loszulassen? Das ist ja eine Kernfrage in der Therapie.
Seit der Einführug der Psychoanalyse als Therapie versuchen wir, über das Verstehen der Verletzung, das Loslassen zu erreichen.
Dann kam: Der rückwärts gewandte Blick hilft uns zu verstehen, er befriedigt unser Hirn, aber was geschieht dadurch? Es führt zur Anklage, es führt zu einem Verteilen der Schuld. Dem Gegenüber könnten wir Therapien stellen, mit einem vorwärts gewandten Blick. Solche, die alte Kulturen auch schon kannten, solche, die sie Vision nannten. Die Vision hilft uns, einen Neu-Beginn zu finden.
Wie kann man mit vergangenen Verletzungen umgehen? Jedenfalls nicht mit guten Ratschlägen. Eher mit einer guten Idee!
Wenn jemand in einer Gruppe weint sehe ich oft, daß die Leute hinrennen und das Gefühl haben, sie müssen sofort etwas machen. Oder daß die Gruppe es seltsam war, wenn ich als Leiter darauf nicht reagiert habe. Es gibt für mich immer so ein Bewußtsein, daß jeder Mensch ein Anrecht hat auf seine Trauer. Das es manchmal mehr Power braucht, daß auszuhalten, wenn es in einer Gruppe jemandem schlecht geht, als gleich hinzurennen und es wiedr zum verschwinden zu bringen. Jemandem der trauert einen Ratschlag zu geben, kann auch eine Beleidigung sein für seine Trauer. Es kommt immer auf die Situation an, man muß es abschätzen. Wenn jemand weint, weil er sagt: Ich habe mich heute im Spiegel angeguckt und ich sehe so schlecht aus, dann kann man ihm vielleicht schon einen Ratschlag geben. Aber wenn jemand weint, weil sein Kind überfahren wurde, wird es schon schwieriger.
Zurück zu diesem Neu-Beginn. Der vorwärts gewandte Blick, die Vision, der Neu-Beginn hilft uns, die Verletzung loszulassen. Nur so weit fühlen, wie es im Moment notwendig ist. Es ist eine Gabe, die historische Dimension einer Verletzung zu begreifen, aber es ist nicht immer hilfreich.
Die politische Linke, die sich darin erschöpft, zu vermitteln, wie sehr das Proletariat und ie Leibeiegenen seit Jahrhunderten ausgebeutet werden und wie schlecht es ihnen darum geht. Meine Erinnerung, wie schlecht es mir ging, als ich im politischen Kampf war. Du triffst an jeder Ecke die Hinweise auf die seit Jahrhunderten andauernde Ausbeutung und weißt genau, wer Schuld ist; - Das Kapital, der Adel, die Kirche, aber es nützt dir überhaupt nichts. Denn es gibt sowenig Ideen in dieser Linken. Man sieht es hier in Deutschland. Der linken Regierung hier ermangelt es vor allem an Ideen, obwohl wir eine rot-grüne Regierung haben geht es uns immer schlechter. Offenbar hilft das Erkennen der historischen Dimension, der rückwärts gewandte Blick uns nicht viel dabei eine Idee zu finden, wie ein Neu-Beginn zu setzen ist. Wie wir den Schmarren von gestern loslassen können. Denn das brauchen wir für einen Neubeginn.
Die Therapie ist dann gut, wenn der Therapeut einem eine Idee gibt, eine wiklich neue Idee - wir können sie auch Vision nennen.
Dann kam eine Erinerung an die Dankbarkeit, sie hilft uns, Verletzung zu überwinden.
Dann kommt die Therapie, sie wird die neue Idee setzen und helfen sich mit ihr zu verbinden.
Darüber, daß jemand eine neue Idee bekommt entsteht Dankbarkeit.
Ich bin dem und dem Menschen äußerst dankbar, daß er mir eine Idee gegeben hat zu meinem Leben, eine Idee ist auch immer eine Vision.
Wieso gilt die Schildkröte in so vielen Kulturen als ein Symbol für die neue Welt? Für die Schöpfung auf dieser Welt, auf der wir leben. Sie hat die Gabe, eine neue Welt zu schaffen, sie scheint in sich das zu tragen, was es braucht für eine neue Welt.
Wir nennen Amerika die neue Welt, die Indianer nannten Amerika die Schildkröten-Insel.



u Back    u Archiv-Index    u Home    u Next